#SuccessStory: FH-Labor hebt die Bewegungsanalyse auf ein neues Level

An der FH St. Pölten wurde ein Lehr- und Forschungslabor etabliert, das für die interdisziplinäre Forschung in Biomechanik und Bewegungswissenschaften in Österreich Maßstäbe setzt. Ein Motion-Capture-System ermöglicht die Entwicklung neuer Methoden in der Rehabilitation. Finanziert wurde das ReMoCap-Lab über das "COIN Aufbau"-Programm der FFG mit Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft.

Die Gang- und Bewegungsanalyse stellt ihren Mehrwert in der klinischen Praxis seit Jahrzehnten unter Beweis. Sie hilft bei der Therapie- und Operationsplanung und bei der anschließenden Rehabilitation. Sie wird weltweit in Kliniken und Rehabilitationszentren eingesetzt und ermöglicht eine objektive und quantitative Analyse der Bewegung von PatientInnen in 3D. Um dies zu ermöglichen, kommt ein ähnliches System wie in der Film- und Animationsindustrie zum Einsatz, ein sogenanntes Motion-Capture-System. Dieses liefert das Material für eine digitale Auswertung.

Bewegungsanalyse auf dem Weg in die Zukunft

Ein Beispiel aus der Praxis. Knöcherne Fehlstellungen der Beinachse erhöhen das Risiko für einen Gelenksverschleiß. Wird die Überlastung nicht rechtzeitig erkannt und korrigiert, ist eine Kniearthrose eine häufige Folge. Die Planung der OP für die Korrektur der Beinachse durch den Orthopäden wird damit genauer möglich. Das Orthopädische Spital Speising, Forschungspartner der FH, betreibt seit über 20 Jahren ein eigenes Ganglabor. Für ihre Forschung schöpft die FH St. Pölten die Möglichkeiten des bewährten Verfahrens nun durch technische Weiterentwicklung richtig aus. Künstliche Intelligenz (KI), Machine Learning (ML) und Virtual Reality (VR) heben die Bewegungsanalyse und Anwendungen in der Rehabilitation auf ein neues Niveau.

Bewegungsanalyse am ReMoCap-Lab der FH St. Pölten mit einem Motion-Capture-System. Foto: © Helene Sorger

Neben der technischen Etablierung eines der modernsten interdisziplinären Lehr- und Forschungslaboren in Österreich, dem Digital Health Lab, war das Ziel des Projektes ein Netzwerk mit klinischen Partner wie dem Orthopädischen Spital Speising und Partnern aus der Wirtschaft aufzubauen. Zudem wurden Use-Cases entwickelt, die das Potential von Machine Learning (ML) und Virtual Reality (VR) im Kontext der Ganganalyse und Rehabilitation aufzeigen sollen. Zwei Beispiele in Folge:

  1. Für Saphenus Medical Technology, Hersteller eines sensorischen Feedbacksystems für Menschen mit Beinprothesen nach Amputation, entwickelte das FH-Forschungsteam ein Echtzeit-Biofeedback, verknüpft mit Virtual Reality. Viele Menschen, die sich neu an eine Prothese gewöhnen müssen, haben zu wenig Vertrauen, die Prothese voll zu belasten. Es kommt zu asymmetrischen Bewegungen, die mit der Zeit das gesunde Bein überlasten und im schlimmsten Fall zu Problemen auf der noch gesunden Seite führen können. Das Team rund um Brian Horsak setzt hier auf einen innovativen Ansatz, bei dem immersive Virtual Reality und einfache Bewegungssensoren kombiniert werden. Ziel war die Entwicklung eines sogenannten „Exergames“, eines Computerspiels mit therapeutischem Nutzen. In der VR-Brille sehen die Patientinnen bzw. Patienten eine motivierende virtuelle Umgebung, in der sie mit ihren Händen z. B. Seifenblasen zerplatzen müssen. Die Hände werden mithilfe optischer Sensoren der Brille erkannt und in Echtzeit in der VR-Umgebung dargestellt. Je mehr Seifenblasen man zerplatzt, desto mehr Punkte bekommt man. Die Seifenblasen tauchen vermehrt auf der Prothesenseite auf und bringt die Person spielerisch Personen dazu, diese vermehrt zu belasten, ohne dass sie es während des Spielens bemerkt. Das schafft Sicherheit und Vertrauen und hilft dabei, asymmetrische Bewegungsmuster zu reduzieren.
     
  2. Das zweite Beispiel rückt künstliche Intelligenz, Datenvisualisierung und Machine Learning in den Mittelpunkt. In klinischen Betrieben, wo die Ganganalyse regelmäßig zum Einsatz kommt, entstehen über die Jahre riesige Datenmengen. Allerdings sind die Mengen meist zu groß und komplex, um mit herkömmlichen Methoden einen Mehrwert zu gewinnen. Machine Learning kann hier helfen, versteckte Informationen zu entschlüsseln. Damit lassen sich sogenannte Decision-Support-Systeme entwickeln – also Algorithmen, die basierend auf historischen Daten bei der Diagnostik eines Patienten unterstützen. Diese zusätzlichen Informationen sorgen im Idealfall für eine präzisere und schnellere medizinische Entscheidungsfindung und können Fehleinschätzungen reduzieren. Damit das System von klinischen Ärztinnen und Ärzten akzeptiert wird, gilt es aber, das Problem des Blackbox-Charakters zu lösen. Normalerweise lässt sich aufgrund der Komplexität der Algorithmen nicht nachvollziehen, warum ein Algorithmus eine bestimmte Entscheidung trifft. Das wäre aber wichtig, um den Klinikern auch die Möglichkeit zu geben, die Entscheidungen des Algorithmus zu verstehen und zu hinterfragen. Für seine Lösungsansätze zu diesem Problem gewann Brian Horsak mit seinem Team den Niederösterreichischen Innovationspreis für Forschungseinrichtungen.

Forschungsförderung trägt Früchte

Gerade für die interdisziplinäre Forschung an der Schnittstelle von digitalen Technologien und Gesundheit braucht es besondere Voraussetzungen. Neben spezieller Infrastruktur benötigt es Kernkompetenzen in allen Fachbereichen. Ohne die gezielte Förderung durch die FFG wäre der Aufbau eines Lehr- und Forschungslabors wie an der FH St. Pölten nicht möglich.

Labor, Stiftungsprofessur und ein FH-Masterlehrgang ermöglichen den Ausbau der Forschung an der Schnittstelle von Gesundheit und digitalen Technologien. Foto: © Helene Sorger

Brian Horsak, der Leiter des Centers for Digital Health and Social Innovation, sieht die Laborausrüstung nicht als Selbstzweck: „Das neu etablierte Labor bietet uns optimale Voraussetzungen, um Forschung und Lehre auf höchstem internationalem Niveau zu betreiben.“. Mit einer Stiftungsprofessur für Angewandte Biomechanik und Rehabilitationsforschung, finanziert durch das Land Niederösterreich, kann Horsak in den nächsten sechs Jahren seine Forschung rund um die Themen Ganganalyse, Machine Learning und Virtual Reality weiter ausbauen. Zudem wurde ein Masterlehrgang für die klinische Ganganalyse an der FH St. Pölten eingerichtet – ein weiterer Erfolg, der ohne die Förderung der FFG nicht möglich gewesen wäre.

Kontakt zum Forschungsteam

ReMoCap-Lab an der Fachhochschule St. Pölten GmbH
FH-Prof. Priv.-Doz. Dr. Brian Horsak
Leiter Center for Digital Health and Social Innovation
Tel.: +43/676/847 228 587
E-Mail: brian.horsak@fhstp.ac.at
https://research.fhstp.ac.at/projekte/remocap-lab