#SuccessStory: Aufsuchende Sozialarbeit in virtuellen Räumen

Besonders jungen Menschen machten reduzierte Sozialkontakte während der Pandemie zu schaffen. Wie aber erreicht man Menschen im Internet, die soziale Unterstützung bräuchten? – Im Rahmen des FFG-geförderten Projekts „Artificial Eye“ der FH Oberösterreich wird ein standardisierter Prozess für soziale Arbeit im virtuellen Raum entwickelt.

„Die aufsuchende Sozialarbeit, bei der Sozialarbeiter:innen Menschen aus ihren Zielgruppen aktiv ansprechen und nicht erst warten, bis diese sich melden, ist bereits gelebte Praxis. Mit unserem Projekt streben wir an, diesen Ansatz auf den digitalen Raum zu erweitern“, erläutern die Projektleiter:innen Charlotte Sweet und Franz Schiermayr vom Department Soziale Arbeit der FH Oberösterreich in Linz. Auf Basis der Praxiserfahrungen der Sozialvereine ISI und migrare aus Oberösterreich und akzente aus Salzburg entwickeln sie seit 2021 einen Prozess für Sozialarbeiter:innen, der im Idealfall zum Goldstandard für deren Aktivitäten in der digitalen Welt wird.

Betroffene aus der „Exkommunikation“ herausholen

„Wir haben jetzt rund zwei Drittel des Projekts abgearbeitet, und es zeigt sich, dass es möglich ist, im Internet aktiv auf die Klientel zuzugehen und mit Menschen, die Unterstützung benötigen, in Kontakt zu treten“, zieht Franz Schiermayr im Februar 2023 Zwischenbilanz. Die angesprochene Klientel, das sind junge Erwachsene, zum Teil mit Migrationshintergrund, aber auch Gruppen mit speziellen Themen, etwa Anorexie oder Essstörungen. Sie kommunizieren in Foren miteinander oder auf Plattformen wie Discord. Viele der jungen Menschen, die auf diesen Kanälen aktiv sind, fühlen sich vom öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen. „In der Systemtheorie nennen wir diesen Zustand ‚Exkommunikation‘“, führt Charlotte Sweet aus.

Das Team von "Artificial Eye" der Fachhochschule OÖ, v.l.n.r.: die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Jürgen Daller und Barbara Pinter sowie die Projektleiter:innen Charlotte Sweet und Franz Schiermayr

Ziel des Projekts „Artificial Eye“ ist es, einen Best-Practice-Prozess zu beschreiben, mit dem sich die Betroffenen wieder in gesellschaftliche Diskurse einbinden lassen, um ihnen innerhalb der Gesellschaft Orientierung zu bieten. Der Prozess soll unabhängig von der digitalen Plattform und unabhängig von der spezifischen sozialarbeiterischen Themenstellung funktionieren. Aus den bisherigen Erfahrungen lassen sich bereits einige Details erkennen, die im „AEye“-Prozess eine Rolle spielen werden. Dazu gehört etwa, dass Sozialarbeiter:innen sich in Foren und Chatrooms transparent deklarieren und auf Augenhöhe interagieren müssen, wollen sie mit den Klient:innen ein Vertrauensverhältnis aufbauen.

Virtuelle Jugendarbeit geht nicht nebenbei

Ein anderes Zwischenergebnis betrifft die Organisation der aufsuchenden Sozialarbeit im Internet: Die kann nur dann gut gelingen, wenn der Fokus auf der virtuellen Kontaktarbeit liegt. „Nicht jede:r Professionist:in kann in jeden Lebensraum einsteigen, sondern es braucht Konstanz in der Kommunikation, um Vertrauen zu erwerben“, sagt Charlotte Sweet. „Das scheint bei jenen Professionist:innen sehr gut zu gelingen, die in Lebenswelten tätig sind, die ihnen entsprechen; und es scheint dort schwierig zu sein, wo Sozialarbeiter:innen, die eigentlich analog arbeiten, die Aufgabe im virtuellen Raum zusätzlich aufgetragen bekommen. Wir erleben, dass die Arbeitsplätze für diese Art von Arbeit strukturiert sein müssen.“ – Dazu zählen etwa ungewöhnliche Arbeitszeiten, z. B. zu späten Abendstunden, wenn in den Foren und Chaträumen Hochbetrieb ist. Insgesamt ist das Ziel der sozialen Arbeit in virtuellen Räumen, Übergänge zu schaffen, damit die Betroffenen an bestehende Systeme andocken können – seien es Hilfsangebote im Internet oder bestehende Sozialeinrichtungen.

Ergebnisse werden im Herbst 2023 präsentiert

Die Ergebnisse des auf zwei Jahre anberaumten Forschungsprojekts „Artificial Eye“ werden am 7. und 8. September 2023 bei einer Tagung an der FH OÖ in Linz präsentiert und diskutiert. Bereits im Mai findet ein internes Treffen mit den beteiligten Jugendarbeit-Organisationen in Salzburg statt. Geplant sind weiters ein Handbuch zur aufsuchenden sozialen Arbeit im Netz im virtuellen Raum und eventuell auch – abhängig von der Finanzierung – Workshops und Trainings für Sozialarbeiter:innen, die sich in diese spezifische Form der Sozialarbeit vertiefen wollen. Auch könnten in möglichen Folgeprojekten die Netzwerke über die Bundesländergrenzen hinaus erweitert werden, denn: „Das Internet hält sich nicht an Bezirks- oder Bundeslandgrenzen“, so Franz Schiermayr.

FFG-Förderung ermöglichte vertiefte Forschung

„Das Projekt in dieser Dimension ist allein durch die FFG-Förderung möglich geworden“, fasst Charlotte Sweet zusammen: „dass man es strukturiert angehen und anwendungsorientierte Forschung betreiben kann. Sowohl auf handlungsorientierter Ebene als auch auf Forschungsebene wäre die Arbeit in diesem Umfang ohne die Förderung nicht möglich gewesen.“ Positiv wurde auch die Kommunikation mit den FFG-Expert:innen wahrgenommen: „Was sehr gut funktioniert hat, war, mit den Verantwortlichen von Fast Track Digital einen raschen Kontakt aufzubauen und gute Unterstützung zu bekommen“, sagt Franz Schiermayr: „Das passiert sehr konstruktiv.“

Kontakt zum Projektteam

FH OÖ
Fakultät für Medizintechnik und Angewandte Sozialwissenschaften
DSA Franz Schiermayr MSc
FH-Assistenzprof. Charlotte Sweet MA MA
Garnisonstraße 21
4020 Linz/Austria
Tel.: +43 5 0804 52200
E-Mail:
sozialearbeit@fh-linz.at
Web: www.fh-ooe.at/so